Premierentag. Ich will in den Saal. Die Tür wird von innen zugehalten. Ich frage: »Was ist los?« Von drinnen die Antwort: »Du kannst nicht reinkommen, sorry. Wir bereiten einen Premierenscherz vor. Überraschung.« Ich: »Ne, ihr habt das falsch verstanden – das heißt DERNIEREN-Scherz. Macht mal keinen Quatsch bei der ersten Aufführung, ihr werdet aufgeregt genug sein!« Keine Chance. Ich darf nicht in den Saal. Na gut, dann halt nicht.
Die Aufführung läuft. Wir kommen zur dramatischsten Szene des Abends: Die Jugendlichen springen im Gegenlicht und mit ordentlich Nebel aus dem Schützengraben nach vorne, um einen Kameraden aus dem Gewehrfeuer zu retten. Plötzlich ein lautes Handyklingeln über das Licht- und Tonpult. Ich drehe mich stinkwütend nach hinten um, um die Jungs dort zusammenzufalten – und mich schauen zwei breit grinsende Gesichter an, die nach vorne deuten: Das Licht ist plötzlich taghell, der eine Schauspieler geht an sein (imaginäres) Handy: »Ja… ah, Mama! Du, ist grade ganz schlecht… nee, bin auf Arbeit… ja, ich räume mein Zimmer wirklich morgen auf, versprochen! Ja ich dich auch… du, ich muss hier weitermachen… Bussi!« Lichtwechsel, der Schützengraben läuft weiter.
Da war ich stolz auf meine Bande, ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr! Die haben echt verstanden, was es heißt, Brüche zu bauen und voll in den Pathos zu gehen, um ihn dann aber zu brechen und zu ihrem eigenen zu machen… Und was ist das denn bitte schön für ein Mut, so eine Setzung zu machen, auf die Gefahr hin, dass die Regie danach enttäuscht, wütend oder irgendwas ist …
Unser Achtklassspiel im Jahr 2020/21 stand scheinbar unter keinem guten Stern. Nicht nur die Regisseurin, sondern auch andere im pädagogisch-künstlerischen Team wechselten im Laufe des Prozesses, was die Verbleibenden jedes Mal vor Herausforderungen stellte.
Die erste Probephase wurde während der intensivsten Zeit des Corona-Lockdown unterbrochen und weitere Proben sowie die Aufführung ins Ungewisse verschoben. Für die Wiederaufnahme in der 9. Klasse musste das »alte« Klassenlehrerteam kämpfen. Bis zur Aufführung fragte ich mich oft, ob wir den Bedenken der Oberstufe, der Prozessmüdigkeit der Schüler*innen und der eigenen Sorge, ob das Ergebnis der Bemühungen (in den Augen und Herzen der Jugendlichen) all dies rechtfertigte, nicht doch lieber stattgegeben hätten.
Am nächsten Morgen: 10:00 Uhr Schüleraufführung. Ich habe verschlafen, komme erst um 9:57 Uhr an. Man sagt mir: »Ach du, ist gar nicht schlimm. Wir haben versucht, dich anzurufen, aber die Klasse meinte: ›Elisabeth hat doch gesagt, das ist jetzt unser Stück. Das kriegen wir auch ohne sie hin.‹« Und dann haben sie eine wunderbare Aufführung gespielt, bei der ich mir auf eine großartige Weise völlig überflüssig vorkam …
Die strahlenden Gesichter der Jugendlichen am Ende der Premiere gaben mir die Gewissheit, dass ein solches Achtklassspiel in der Klassengemeinschaft und im Selbstvertrauen der Jugendlichen etwas bewirkt, was anderweitig kaum zu erreichen ist …